Der Mojito: das Wiener Schnitzel der Bar? (2024)

Am Mojito führt kein Weg vorbei: Der Piratendrink aus Rum, Minze, Limette und Zucker gehörte zu den ersten großen Crowdpleasern der Bar-Renaissance. Fluch und Segen zugleich.Gabriel Daun geht in seiner historischen Rekonstruktion dem Original Mojito auf den Grund. Und er sagt, wie und warum man auch heute noch in einer Spitzenbar einen Mojito bestellen darf und sogar soll. Denn das Original geht immer.Ein Plädoyer für Einfachheit und Qualität.

Ein wenig hat sich der Mojito in den letzten Jahren zum Wiener Schnitzel unter den Drinks entwickelt. Beide werden bis heute sicherlich sehr häufig zubereitet und dementsprechend oft verkauft. Und bei beiden handelt es sich – wenn sie gut gemacht wurden – um ein ansprechendes Erlebnis, das allerdings kaum noch einen Gaumen zu überraschen vermag. Dennoch: Originales Schnitzel oder Original Mojito – geht eigentlich immer. Fluch und Segen solcher Dinge ist aber schlicht: Sie sind mitunter überpräsent oder wirken schlicht so.

Vom Original Mojito zum billigen Abklatsch

Nicht zuletzt deshalb ist der Mojito vielleicht in den letzten Jahren in der Gunst der Bartender gesunken. Der zweite Grund mag vor allem der sein, dass seine Zubereitung während der letzten zwei Dekaden viel zu häufig den nötigen Sachverstand und die Leidenschaft vermissen ließ – weg vom Original, hin zum Ramsch, jedenfalls überspitzt gesag:. Zunächst von biederen Vorstädtern annektiert, die ihn in ihrem Reihenhausgarten auf der Terrasse an Samstagabenden ihren Gästen aufdrängten: Ein pseudo-exotisches Caipirinha-Upgrade, das mit leicht manieristischem Duktus Weltläufigkeit und Kennerschaft simulieren sollte. Zu viele seiner Art wurden bald darauf in an irgendwelchen Flüsschen oder Kanälen gelegenen, mittelmäßigen Möchtegern-Strandbars und Großraumdiskotheken kredenzt, ein bräunlich-schmutziggrüner Brei aus Eisklümpchen, alter Minze, Limettenstücken und unsäglichem braunem Zucker. Auf zu vielen Volksfesten und Festivals wurde dieser kubanische Klassiker dann schließlich inflationär in Pappbechern verramscht und verkam zum banalen Prollgesöff auf hirnlosen Massenveranstaltungen.

Aus diesem Grunde wird jeder, der heute in einer Bar einen Mojito ordert, zumindest vorerst nicht unbedingt als Connaisseur eingeordnet werden. Der Mojito ist, wie schon einige Drinks vor ihm, ein wenig zum Opfer seines eigenen Erfolgs geworden. Er ist schlicht und einfach nicht mehr sophisticated genug, weder für den zeitgenössischen Bartender, der bei einer Mojito-Order vielleicht den Versuch eines Old Cuban-Upgrades unternehmen wird, noch für die Gin & Tonic-Avantgardisten, die sich mittlerweile scharenweise vor dem Tresen tummeln.

Der Mojito, Die Freibeuter und die Minze: Daher kommt das Original

Die Anfänge dessen, was wir heute „Mojito“ nennen, liegen weit zurück: Bereits die Seeleute und Piraten des Elisabethanischen Zeitalters kannten die wohltuende und lindernde Wirkung von Minze bei Magenproblemen, die sie bei Ihren Fahrten in tropische und subtropische Gefilde vermutlich häufiger plagten. Der Gedanke, dass dort die Wurzeln des Mojitos liegen könnten, ist weder abwegig noch neu. Medizinische, pharmazeutische oder pseudomedizinische Hintergründe nehmen bei der Erklärung, wie Drinks entstanden sind, fast grundsätzlich einen Spitzenplatz ein.

1655 wurde eine tägliche Ration Rum für Matrosen auf den Schiffen der British Royal Navy beschlossen. Doch auch schon zuvor wurde auf jedem Schiff eine nicht unbeträchtliche Menge an Wein, Bier und Destillaten mitgeführt, in erster Linie zur Konservierung verderblicher Güter. Da auf hoher See Frischwasser häufig Mangelware war und das bei Landgängen gefundene, in Fässern abgefüllte Wasser schnell Algen bildete, war es auf Schiffen der englischen Krone Usus, das Wasser durch Zugabe von Alkohol haltbar zu machen. Bei Fahrten in die Karibik wurde hierzu mit großer Sicherheit bereits im 16. Jahrhundert aguardiente de caña verwendet, also im Groben gesagt: Rum beziehungsweise dessen einfachere Vorstufe.

Wie kamen diese Zutaten nun für einen originalen Mojito zusammen? Als Sir Francis Drake, eine herausragende Persönlichkeit der englischen Seeschifffahrt, auf einer seiner Kaperfahrten in der Karibik erkrankte, verhalf ihm angeblich ein Gemisch aus Zuckerrohrbrand, Minze und Zucker wieder zu Gesundheit. Von seinen spanischen Widersachern auf See wurde Drake „El Draque” genannt, und dieser Name übertrug sich dann auf das flüssige Gemisch, das mit seiner Genesung in Verbindung gebracht wurde.

Kubanisches Original und pseudokubanische Touristenfalle

Vom Mojito, wie wir ihn heute noch kennen, ist hingegen erst in den co*cktailbüchern des früheren 20. Jahrhunderts zu lesen. Tatsächlich handelt es sich um eine kubanische Erfindung (oder zumindest Weiterentwicklung). Bemerkenswerterweise ist in den ersten Quellen, die den Mojito nennen, von der Verwendung von Minze noch keine Rede. Es handelt sich bei jenen Drinks zunächst eher um klassische Rum Rickeys oder Rum Collinses.

In John B. Escalantes Manual del Cantineroist ein „Ron Bacardí Julep“ zu finden, eine der ersten Referenzen, die Rum und Minze nach dem „El Draque“ wieder zusammenbringt. Von dort ist es dann nur noch ein kleiner Schritt bis zum echten, ursprünglichen Mojito als eine erfrischende, alkoholische Limonade — er ist mitnichten ein kräftiger Rum-Drink.Zu großer Popularität verhalfen ihm dann die Bars El Floridita und Bodeguita del Medio sowie der Club de Cantineros.


Die Bodeguita del Medio, jene legendäre Bar, in der Ernest Hemingway laut eigener Aussage seinen Mojito bevorzugt einzunehmen pflegte, entwickelte sich zum Mekka für Fans des Drinks. Die Zahl der Mojitos, die dort jährlich über den Tresen gereicht werden, ist schwer zu überschätzen. Leider geht damit ein unvermeidliches Phänomen einher: Es ist unwahrscheinlich, einen Mojito serviert zu bekommen, dem der Bartender bei der Zubereitung so etwas wie Aufmerksamkeit oder gar Hingabe zuteilwerden ließ. Reisebusse mit Pauschaltouristen machen für 15 Minuten an der Bar halt und innerhalb dieser Viertelstunde dürfen sich die Reisegruppen dann am kubanischen Klassiker gütlich tun. Die Bartender sind ohne Frage schnell und effizient, aber vermutlich birgt dieses Erlebnis wenig Magie. Es sind nun einmal Drinks vom Fließband, und darunter leidet die Qualität. Wayne Curtis bemerkt in seinem Buch And a Bottle of Rumüber seine generellen Erfahrungen mit Mojitos in Havana enttäuscht: „The mint wasn’t minty, the lime wasn’t limey, and the bubbly water wasn’t bubbly […] I’ve had better mojitos at airport bars.“

Jeder Drink hat seinen Moment. Vielleicht auch immer wieder.

Es scheint, als sei es um den Mojito dieser Tage nicht zum Besten bestellt – einerseits, weil er oft entfernt vom wirklichen Original dargeboten wird, andererseits einfach aufgrund eines Overkill. Zum Schluss dennoch ein paar versöhnliche Sätze. Auch, wenn er in unseren Breiten in gehobenen Bars mehr oder minder keine große Rolle mehr spielen mag: Er kann ein wunderbar erfrischender Drink sein. Zum richtigen Zeitpunkt und bei den richtigen Temperaturen. An diesen heißen Juliabenden, die „Mary Pickford!“ oder „Royal Bermuda Yacht Club!“ schreien. Oder eben Mojito! Und man vergesse nicht, dass der nach vier Jahren prominenteste Drink in der Frankfurter The Kinly Bar der beinah legendäre „Butterfly Mojito“ ist, eine Dekonstruktion und Neu-Arrangierung des klassischen Drinks.
Insofern kann man optimistisch sein für den Mojito. Denn der Sommer ist da, er verspricht ähnlich klimawandelmäßig zu werden wie der letzte. Der nächste Sommer kommt außerdem bestimmt. Klar, irgendwann ist dann auch mal Herbst. Aber wie eingangs erwähnt: Wiener Schnitzel geht ja auch irgendwie immer.

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Der vorliegende Text erschien erstmals im September 2015. Die letzte Bearbeitung durch die Redaktion wurde im Juni 2019 vorgenommen.

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